Einer meiner Bekannten betätigt sich in der Freizeit als Amateur-Rockmusiker. Vor Jahren hatte seine damalige Band einen Probenraum, der direkt neben einer Hinterhofmoschee lag. Hier prallten zwei Welten aufeinander. Ständig gab es Ärger, Behinderungen beim Transport der Anlage, dumme Bemerkungen - die Moslems konnten offenbar ganz einfach diese Art von Musik nicht akzeptieren. Ein weibliches Bandmitglied im Minirock wurde gar offen angepöbelt, sie sei eine Hure, eine Nutte. Muß man sich das gefallen lassen? Mein Bekannter, der auch noch andere negative Erlebnisse dieser Art zu berichten weiß, hat denn auch die Nase voll: »Wenn ich mir vorstelle, daß der Ruf eines Muezzins von einem Minarett über mein Wohnviertel schallt, dann macht mir das keine Laune.«
Genau das fanden die Schweizer Stimmbürger mehrheitlich auch - und stimmten für das Minarettverbot. Und lösten einen Wirbelsturm öffentlicher Empörung in ganz Europa aus, besonders schön
hier zusammengefaßt. Man faßt sich an den Kopf, wozu sich manche versteigen: »Rassismus« sei der Entscheid (als ob die Moslems eine andere Rasse wären als die Nichtmoslems), »eine Schande für die Schweiz«, zumindest aber ein Angriff auf die Religionsfreiheit.*
Schauen Sie mal hier, werter Leser:

Wie Sie sehen, sehen Sie nichts. Kein Minarett jedenfalls. Und dabei ist das die Al-Aqsah-Moschee in Kairo, eine der wichtigsten Moscheen überhaupt. Minarette sind nämlich keineswegs zwingend für eine Moschee, genauso wenig wie ein Glockenturm für eine Kirche.
Der Glauben ist frei, nicht aber das aus dem Glauben resultierende Handeln. Ein streng protestantischer Niederländer muß laut Gerichtsurteil im Auto den Sicherheitsgurt anlegen, auch wenn er findet, wenn Gott ihn mit einem Unfall strafen wolle, dürfe man dem nicht wehren. Führt eine Schule Schuluniformen ein, sind eben ab sofort sowohl Lumpenjeans als auch Kopftuch passé. Wenn Schächten aus Tierschutzgründen verboten ist, müssen Juden und Moslems eben Fleisch importieren oder vegetarisch leben. Und wenn das Recht auf körperliche Unversehrtheit durchgesetzt wird, dann haben eben Beschneidungen von Knaben und Mädchen aus religiösen, nichtmedizinischen Gründen zu unterbleiben. Punkt.
»Populismus« ist noch der mildeste Vorwurf, den sich die armen Schweizer gefallen lassen müssen. Aber ist die Demokratie nicht dazu gedacht, den Willen des Volkes (lat. »populus«) durchzusetzen? Kann ein Volk auch vernagelte, unsinnige Beschlüsse fassen? Klar. »Wenn 60 Millionen Menschen etwas Dummes sagen, so bleibt es doch etwas Dummes.« (George Bernard Shaw). Vox populi ist eben nicht vox dei. Aber genauso kann sich auch ein Alleinherrscher irren. Oder eine Politikerkaste, wie wir sie jetzt haben. Die Vergangenheit hat allerdings gezeigt, daß das Schweizer Stimmvolk Fehlentscheidungen meist ein paar Jahre später korrigiert, wenn sich die Gemüter beruhigt haben. Konservativ, aber nicht vernagelt, und sich bedächtig, nicht überhastet, an Neues herantastend - das ist nicht die schlechteste Einstellung in dieser Zeit.
Gestern sah ich mit einem Freund den neuen Michael-Moore-Film »Kapitalismus - eine Liebeserklärung«. Das politische System der USA sei ein Spielball, eine Beute des Großkapitals, behauptete der Film und stellte das als eine Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte dar - als hätte es nicht schon Ende des 19. Jahrhunderts Klagen gegeben, das Weiße Haus sei eine Marionette der Trusts, der Rockefellers, Vanderbilts etc. Die reichen Plutokraten hätten kein Interesse an der Demokratie, so Moores These. Gewöhnliche Menschen seien für die nur als Arbeitssklaven und Konsumenten interessant. Das Wahl- und Abstimmungsrecht sähen sie am liebsten abgeschafft, da es ihren Interessen schaden könne.
Die wohlmeinende Politikerkaste billigt die Demokratie offenbar auch nur, solange das Volk im gewünschten Sinne abstimmt. Wie lästig, bei Referenden um Zustimmung werben zu müssen, Überzeugungsarbeit leisten zu müssen! »Ich bin froh, daß es Deutschland keine Referenden gibt«, sagte denn auch ein Interviewter heute im Radio erfrischend ehrlich mit Blick auf das Schweizer Minarettverbot. Notfalls läßt man bockbeinige kleine Völker (die Iren, die Dänen) eben so lange abstimmen, bis das Ergebnis aus Sicht der Regierenden stimmt. (Auch in der Schweiz gibt es solche Beispiele - leider).
Kein Wunder, daß die Umfrageergebnisse vor der Abstimmung anders aussahen als das Ergebnis. Viele hielten es für weiser, angesichts des Meinungsdrucks mit ihrer wahren Meinung hinter dem Berg zu halten - bis zur Wahlkabine.
Hach ja - um die Demokratie steht's nicht gut. Von gleich zwei Seiten gerät sie unter Beschuß: Die Plutokraten und Großkonzerne wollen sie nicht, und der wohlmeinenden »politischen Klasse« ist sie ebenfalls meist lästig, assistiert von den meisten Medien, die wieder einmal viel linker sind als vermutlich der Querschnitt auch des deutschen Volkes und mal wieder wie verhinderte Oberlehrer auftreten.
*Seufz* Und das alles an einem Tag, so trist und grau, daß man am liebsten einfach durchschlafen möchte. Na wenigstens darf man sich noch einen tröstenden Rotwein eingießen, solange man noch nicht muslimisch ist ... ;-) In diesem Sinne: Fröhlichen Advent, liebe Leser!
* In den von mir gehörten Radio-Presseschauen hob sich nur eine einzige Pressestimme wohltuend von der allgemeinen Hysterie ab - eine Zeitung aus Passau: »Wenn die Schweizer lieber unter Kirchtürmen leben wollen als unter Minaretten, dann ist das ihr gutes Recht. In einem christlich geprägten Land sollte der Islam nicht so auftrumpfen.« Eben.