6.6.23

Sommerfrische am Ende der Welt - Teil II: Die letzte Bratwurst vor Amerika


 Blick von Tarifa Richtung Marokko über die Straße von Gibraltar

FR 12.5.: Vom Frühstücksraum geht der Blick über den Pool, in den noch immer oder schon wieder der Regen pladdert. Ich schlage mir den Bauch voll, packe und werde von der Rezeptionistin mit Klebeband beschenkt, mit dem ich das traurig herunterhängende Ende der Plastikstoßstange wieder anklebe. Leider ist es nicht wasserfest und muß daher immer wieder erneuert werden.

Und feucht bleibt es auf dem Weg nach Süden. Man sah auch bisher kaum Biker oder Roller – erst ab Madrid südwärts in zunehmendem Maße …

Madrid erreiche ich am frühen Nachmittag – gerade richtig für den Feierabendverkehr vor dem Wochenende. Überfüllte achtspurige Stadtautobahn und häßliche 20stöckige Wohnblocks, Straßenbahnen …

Dutzende von Kilometern ziehen sich südlich von Madrid die Gewerbegebiete hin. Von Burgos an südwärts bis Cordoba ist die Autobahn gratis, und vielleicht ist sie deshalb etwas verlotterter und löchriger als die Bezahl-Autobahnen. Sie ist die Gastarbeiter-Rennstrecke für die Marokkaner, die in Belgien und Holland leben; schon kurz nach der spanischen Grenze bei Hendaye/Irun wird den von Norden Kommenden auf Wegweisern immer mal wieder die Route Richtung Algeciras gezeigt, dem Fährhafen nach Marokko, gleich neben Gibraltar.

Als die Gewerbegebiete südlich von Madrid endlich aufhören, sehe ich links und rechts der Strecke die weite, flache, trockene, etwas öde Hochfläche Neukastiliens („neu“, weil es später von den Moslems zurückerobert wurde als der Norden), oft mit fernen Bergen am Horizont; davor endlose menschenarme Weiten, trotz der noch fast frühlingshaften Jahreszeit graubraun, steppenhaft, vertrocknet wirkend. Das ist die Landschaft, in der Don Quijote einst mit Windmühlen kämpfte. Von den heutigen „Windmühlen“ bleibt das Land weitgehend verschont. Auf windgepeitschten, einsamen Höhen drehen sich einige, und das ist auch okay so, finde ich.

Die rötlich beleuchteten Puffs am Rande der Straße scheinen Vergangenheit zu sein, aber nach wie vor gibt’s jede Menge Hotels am Straßenrand, die meisten an der „Autobahnseite“ irgendwelcher Dörfchen, leider nicht mehr für 18 bis 38 Euro, wie vor Jahren, sondern für z. B. 48 Euro.

Als ich von Madrid ein paar Dutzend Kilometer südwärts gefahren war, ließ ich mich von einer dieser Werbetafeln am Autobahnrand verführen – es war kurz vor sechs – warum nicht heute mal ein bißchen früher Schluß machen?

Ich rollte von der Autobahn weg auf den Hotelparkplatz, und zehn Minuten später bezog ich mein Zimmer. Die Bilder mit weinenden Teenagerinnen sah ich nimmer – vielleicht gibt’s die anderswo noch. Sie sollten die mater lacrimosa abbilden, also die um ihren Sohn trauernde Gottesmutter, obwohl die doch gewiß nimmer im Teenageralter war …

In der Bar ging's rustikal zu, sie war anscheinend viel vom örtlichen Publikum geprägt; Leute, die kamen und gingen – halbstündlich bis stündlich andere. Und alle warfen auf den Boden, was sie loswerden wollten: Zigarettenstummel, leere Zigarettenschachteln, Papiertaschentücher … Was hatte mich das schockiert, als ich es 2001 in einer spanischen Dorfkneipe in Numancia zum ersten Mal sah; aber jetzt ist es viel besser geworden. Alle ein, zwei Stunden kehrt jemand durch – doch bald sieht es wieder so aus wie vorher …

Heute schaffte ich sogar 1000 Worte, bis ich schließlich in Morpheus' Arme sank, wie man so schön sagt.

SA 13.5.: Weiter südwärts durch die steppenhaften Weiten Kastiliens, bis die Hochebene nach zwei, drei Stunden ein Ende hat. Andalusien beginnt.

Quer rüber nach Malaga – und auf einmal muß man doch wieder Kleckerbeiträge zahlen, will man sich nicht durch die vielen Orte und Städte der dichtbesiedelten Küste quälen, sondern sie auf der Autobahn umgehen.

Endlich ist es geschafft: Der Felsen von Gibraltar rückt ins Blickfeld und dann wieder hinaus, ich passiere Algeciras, den Fährhafen nach Marokko, und wenige Kilometer erreiche ich Tarifa, parke am Stadtrand in einer erst halbfertigen Neubaustraße und begebe mich dann in die Altstadt.

Im Januar/Februar 2001 war ich zum ersten und bislang einzigen Mal in Tarifa gewesen. Es war kein Problem gewesen, für 4000 Peseten / 40 Mark / 20 Euro ein passables Zimmer zu bekommen.

Aber nun waren wir 22 Jahre weiter, und es war Mai, nicht Januar.

Jetzt kostete ein Zimmer in der Altstadt etwas über 70 Euro (ohne Frühstück). Ich buchte vier Nächte, mußte darin einmal in ein anderes Zimmer umziehen, und „für heute auf morgen haben wir nichts. Ich sehe aber auf booking.com, daß ein Hostel in der Nähe für die bevorstehende Nacht für 80 Euro buchbar wäre.“

Ich winkte ab, verzog mich mit einem Dosenbier in mein am Stadtrand geparktes Auto und schlummerte auf dem heruntergedrehten Beifahrersitz passabel und ungestört …

SO 14.5. – MI 17.5.: Mit meinem bescheidenen Gepäck in zwei großen Einkaufstaschen spaziere ich zur Altstadt, zu meinem gebuchten Quartier. Vier geruhsame Schreib- und Spaziertage in Tarifa folgen. Fast jeden Tag kann ich 1000 Worte schreiben. Wenig überraschende Erkenntnis: Am ehesten kommt man zum Schreiben, wenn man alle anderen Beschäftigungen zurückdrängt, also möglichst wenig Zeit mit stressiger Fahrerei, Quartiersuche o. ä. verbringt.

Tarifas Lage ist herrlich. Der Blick geht hinüber nach Afrika – nur jenen berühmten Wegweiser, der nach links zum Mittelmeer und nach rechts zum Atlantik zeigt, den sah ich nimmer, denn der liegt wohl auf der vorgelagerten Insel mit dem Leuchtturm, und die ist nur noch mit Reservierung und Voranmeldung zugänglich. Es wird alles immer voller und reglementierter, und zur Hauptsaison gehen die Preise durch die Decke.

Von dem Damm, der zur Leuchtturminsel führt, blickt man westwärts auf einen Atlantikstrand und ostwärts auf einen Mittelmeerstrand.

Trinken, wenig essen, schreiben … Als ich Nichtsmartphonebesitzer in meinen Kalenderaufzeichnungen einen Fehler entdecke und das junge Personal in einem Strandlokal um die Angabe des aktuellen Datums bitte, verstehen die mich zunächst gar nicht, dachten, ich wollte irgendwas bestellen oder reservieren …

Das Hotel hat eine Dachterrasse; die Sofas stehen alle schon draußen, d. h., es ist wohl bis Herbst nicht mehr mit Regen zu rechnen.

MI 17.5.: Der Tag der Abreise ist gekommen. Ich spaziere gegen Mittag mit dem Gepäck zum Auto und fahre westwärts, Richtung Sevilla, und dann Richtung Huelva und Portugal. Dann weiter nördlich der Algarve-Küstenorte westwärts, wenn Sie verstehen, wie ich das meine ;-) Portimao, Lagos …

Dann ist die Autobahn zu Ende, ich fahre irrtümlich nordwestwärts und sehe mich dann genötigt, über schmale Holpersträßchen durch den lockeren Wald wieder südwestwärts zu fahren, bis ich den Ort Sagres erreicht habe, den wohl südwestlichsten Europas. Noch wenige Kilometer, und ich stehe vor dem Kap Sao Vicente, dem Südwestkap Europas. Es ist etwa 19 Uhr (oder 18 Uhr? Portugal hat vernünftigerweise westeuropäische Zeit – wie England und Irland), und die berühmte Imbißbude „Letzte Bratwurst vor Amerika“ ist schon am Abdampfen. Na ja, was soll's?

Ciao und gut Nacht für heut', Leut'!

(ca. 1079 Worte, 5.6.'23, 23.48 Uhr) 


 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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