... aber eins nach dem anderen.
Gestern abend (24.10.) kam ich von der Frankfurter Buchmesse heim, und heute morgen (25.10.) sitze ich mit Kaffee am Rechner und versuche meine Eindrücke zu sortieren (und etwa 60 Stunden später, am Donnerstagmorgen, ist dieser Bericht fertig).
2016 war ich das letzte Mal dort - mit enttäuschenden 500 € Umsatz (nach über 1000 € 2010). Diesmal würde es noch weniger werden; die Kaufzurückhaltung der Leute ist enorm. Man sieht es nicht gleich, weil Kneipen und Straßen nach wie vor voll sind, aber die Kaufzurückhaltung der Leute bei allem, was nicht unbedingt nötig ist, ist enorm – also z. B. bei SM-Büchern … Einer meiner Autoren, der jetzt meint, seine Ebooks selber vermarkten zu müssen, mußte bei seinem neuen Superthriller den Preis von 3,99 € auf 0,99 € herabsetzen, weil offenbar kaum einer kaufte; selbst der Preis eines Kneipenbierchens war den Leuten schon zu viel für spannende Lektüre. Es kann einem aber auch die Lust vergehen, wenn man selbst nolens volens mitten drinsteckt in einem gigantischen Politthriller namens Deutschland im Herbst 2022, der das Zeug hat, uns alle zu ruinieren …
Karikatur von Burkhard Mohr für die PAZ
Schon am Montag nachmittag reiste ich nach Frankfurt, erreichte in der Abenddämmerung das Waldhotel Hensels Felsenkeller am Südrand des südöstlichen Frankfurter Stadtteils Oberrad, kurz vorm Waldrand.
Leider ist Oberrad ein ziemlich kneipenarmer Stadtteil, besonders montags ;-) Das Restaurant Hensel selbst schien auch an anderen Tagen abends meistens zu zu sein, jedenfalls wenn ich abgekämpft von der Messe kam. „Wenn unsere Gäste gehen, machen wir zu“, sagte die Wirtin treuherzig – und die gehen offenbar mit den Hühnern schlafen; vielleicht mit dem Schlußgong der Buchmesse. Die Kneipenmeile Sachsenhausens wiederum war zu Fuß zu weit weg; also blieb's meist bei irgendwelchen Notbehelfen wie Dönerbuden oder der nur Flüssiges bevorratenden „Pilsstube 297“ an der Offenbacher Landstraße – dessen Wirtin durchaus Einbußen an Kundschaft vermelden konnte, nicht nur weil das Geld nimmer so locker saß, sondern weil viele Kunden angeblich eine wiederanrollende Coronawelle befürchteten (ich les' so was schon gar nimmer; in den Gesichtern vermummter Frankfurter Rentner Ängstlichkeit, Abschottung und Gehorsam zu lesen reichte mir schon). Ich war einer von zwei, drei Gästen. Wirtin: „Ich weiß auch nicht, was das ist – früher war's hier immer voll!“ – Und was nützt ein Grüne-Soße-Denkmal, wenn es nix Gescheites zu essen gibt? Irgendwas fand sich aber immer, und sei es noch so besch...eiden.
Moderne Kunst: Frankfurt-Oberrad: Denkmal der Frankfurter Grünen Sauce
Und nach dem Mahle eine gemütliche Ruhe, wo man durchs offene Fenster wenig mehr hörte als das Rauschen des nahen Waldes (am Waldrand konnte man auch problemlos parken, auch ohne hoteleigenen Parkplatz); ab dem späten Abend mischte sich nicht einmal mehr das Geräusch einer sinkenden 747 in das Rauschen …
DI, 18.10.'22: Rund eine Stunde brauchte ich, um ohne Navi bis zum Eingang Nord der Buchmesse zu finden – und man kann ja längst nicht überall anhalten, um in Ruhe auf den papierenen Stadtplan zu schauen. Jedes Auto, das aufs Messegelände will, muß jetzt vorher online registriert werden – aber an der Sperre war alles ganz easy … – Mehrere Klapphocker mit Stauraum, darin ca. 150 Bücher, Auslauftitel wie das Allerneuste, etwa „Ursel an die Leyne!“, Sitzkissen, allerlei Krimskrams und natürlich wieder eine Uhr „Kein Bier vor 4“, bei der alle Ziffern durch eine Vier ersetzt waren. Die erste Uhr dieser Art (mit altmodischerem Design) hatte man mir nach der Messe 2016 geklaut. Die neue Uhr gab sogar stündlich das zischende Geräusch einer geöffnet werdenden Bierflasche von sich. – Wegen der Diebstahlgefahr hatte ich zum ersten Mal eine Kette und ein Vorhängeschloß für die Sitzschränke mitgebracht. Und natürlich: Cider und Bier; für eine Nachbestellung des belgischen „Delirium-Red“-Kirschbiers mit 8,5 % war's zu spät gewesen, und was ich Monate zuvor persönlich aus Belgien herbeigeschafft hatte, war längst den Weg über meinen Magen und meine Blase gegangen … Aber mehrere Viererpacks Leffe brune und blonde mit 6,6 % aus dem Supermarkt in Dußlingen bei Tübingen waren ja auch nicht schlecht. – Nach anstrengender, stundenlanger Schlepperei warf ich mich endlich wieder ins – erleichterte – Auto und brauchte sogar 80 Minuten, bis ich endlich – es dunkelte schon – nach Umwegen wieder am Waldrand in Oberrad stand.
MI, 19.10.'22: Hab ich alles? fragte ich mich an der Straßenbahnhaltestelle in Oberrads Zentrum; Schottenröckchen? Rote Lackschühchen? Maske? Oh shit – ganz vergessen, daß das dämliche Ding in den „Öffis“ noch Pflicht ist. Aus gutem Grund hatte ich das 9-€-Ticket ignoriert; bei sommerlicher Hitze in vollen Zügen mit erstickender Melitta-Filtertüte vor der Schnauze stundenlang durch Deutschland zu fahren – nein danke …
Dann muß es halt ohne gehen, dachte ich und stieg „oben ohne“ in die Tram Nr. 16 Richtung Ginnheim ein, via Festplatz/Messe. Etwa 80 bis 95 Prozent der Fahrgäste trugen den „Gehorsamslappen“, wie ihn Matthias Matussek kürzlich treffend genannt hatte. In der Tat nehmen sich die Regierenden ja gerne von solchen Maßnahmen aus, von Steinmeier bis Boris Johnson. Der feierte nicht nur lustige Corona-Parties, sondern ließ auch 135 Prominente mit ihrer Entourage in ihren Privatjets auf den Glasgower Klimagipfel einschweben, wo sie dann verkündeten, Otto Normalverbraucher solle keine Flugreisen mehr machen – sie selbst natürlich schon. – Schade eigentlich. Eigentlich fand ich den blonden Boris aus Britain mit seinem lausbubenhaften Charme ganz sympathisch, aber manchmal hat ein Lausbub halt einfach nur einen Arschvoll verdient. – Maskenverweigerer waren oft junge Ausländer, Muslime wohl, und in diesem Falle gehört ihnen auch meine Sympathie. Junge Muslimas hingegen trugen die Maske; Kopftuch plus Maske sieht fast aus wie ein Niqab. Die sind Demut und Vermummung gewohnt …
Manche Trambahnlinien verkehrten übrigens laut FAZ – die holte ich mir jeden Morgen vom FAZ-Stand – nicht oder nur ausgedünnt, nicht weil irgendwas kaputt war, sondern weil der Krankenstand zu hoch und die Personaldecke zu dünn war.
Am Stand angekommen, stellte ich fest, daß unten in meinem Rucksack doch noch zwei verkrumpelte Masken lagen. Sie durften bis zur Heimreise da bleiben, wo sie waren. Ferner bemerkte ich, daß ich eine halbe Stunde zu früh dran war. Darauf erst einmal einen entspannenden Apfelsaft de luxe – englischen Cider. Nicht so sauer wie das deutsche Zeug von Äppler oder Most und dennoch gehaltvoll (6 %). Leffe erst ab vier.
Die Gänge waren riesig breit – alles nur aus Hygienegründen, ja klar ;-) Ich konnte dasitzen und zählen: Passieren in 10 Minuten 100 Vermummte? Am Mittwochmorgen noch nicht, später vielleicht schon. Dürfte schwer sein, diese Unsitte wieder ganz wegzukriegen …
Eigentlich
wäre jetzt Zeit für einen Spaziergang durch die Hallen – oder
zwei oder drei. Einfach das Schild „Bin gleich wieder da!:-)“ auf
den prominentesten der Sitzhocker gelegt und losmarschiert! Aber
meine Lust hielt sich in Grenzen. So blieb's bei kleinen Ausflügen
um die Ecke. Konkursbuch aus Tübingen hat sich verkleinert,
der Quer Verlag bietet
Sticker mit der Aufschrift „Verlage gegen Rechts“ an, diverse
Erotik- und SM-Verlage sind nimmer da, Plaisir d'Amour
etwa, die nur SM-Schnulzen
Erotikromane von Frauen verlegen, von zart bis hart, keine
Kurzgeschichten, keine männlichen Autoren. Mit Hilfe der Agentur
Kossack konnten die Teile
ihres Programms noch als Taschenbuchlizenzen an Großverlage
weiterverhökern. Das wäre vielleicht auch was für mich – aber ob
die Hardcore-SM-Literatur nehmen würden?
Neben meinem Stand war der Stand der Soft-SM- und Fantasy-Autorin „Lisa Skydla“, die – wie schon 2016 – damit strunzte, immer noch einige 10.000 € im Jahr zu machen. Und wie? „Man muß sich seine Zielgruppe suchen und die sorgfältig pflegen“, so ihr Dauermantra. „Pflegen“ heißt: auf den „sozialen Medien“ beschmusen und betüddeln, pausenlos dort wuseln und immer was Neues bringen, am besten täglich. Das predigten mir auch andere. „Das ist Werbung, die nichts kostet“, sagte mir ein Werbefuzzi eines anderen Verlags – außer viel, viel Zeit, so viel, daß man einen zweiten Roman hätte schreiben können, wenn man sich nicht zum Sklaven seines Online-Fanclubs gemacht hätte. - 2016 predigte Lisa Skydla das auch schon, und dennoch gelang mir 2017 ein Ebook-Boom - ganz ohne solche Maßnahmen. 2021 begann ein weiterer - aber nach ein paar Wochen mähte Amazon.de alles ab, weil es wohl zu erotisch oder zu pornographisch war ...
Als Verleger kann man das vielleicht auch seinen Autoren überlassen. Ganz erfolgreich scheint immer noch Blue Panther Books zu sein, der nur in seinen Anfängen um 2010 ein einziges Mal auf der Buchmesse war, damals mit der schwarz ausgekleideten „Vögel-Bar“ (so auch einer der ersten Buchtitel), auf der es literarisch-pornographische Häppchen und Schampusschlückchen gab. Bis heute haut Blue Panther Books jährlich rund 100 Schnulzen raus, vielleicht die Hälfte mit SM, die andere Hälfte ohne, oft von weiblichen Autorinnen, oft so nach dem Muster: „Nach 20jährigem öden Ehealltag lernte Bianca endlich jemanden kennen, der sie etwas härter anfaßte, der sie in die lustvolle Welt des BDSM einführte. Nun war sie im Zwiespalt. Wie wird sie sich entscheiden?“ Und das in zigfachen Variationen. „Die Autorinnen sind zufrieden, weil sie ihr Geld kriegen, eine Summe, die sie angemessen finden, und der Laden läuft“, erzählte mir jemand. Aber was ist angemessen? Einer meiner Autoren fand vor Jahren – in besseren Zeiten – ein Autorenhonorar von 3000 € für einen SM-Thriller unangemessen, denn er schreibe daran zwei Monate und erwarte dann mindestens 2000 € pro Monat, jedenfalls eine Summe, die zwei Monatsgehältern in einem Job unteren Durchschnitts entspreche. Diese Erwartung allerdings hat sich schon früher nur bei den wenigsten Autoren erfüllt …
Welche Mühe es machen kann, eine erfolgreiche Autorin von „Nackenbeißern“ zu sein, wie man Liebesschnulzen wegen ihrer Covergestaltung oft nennt, erzählt die Autorin Monika Dennerlein hier. Jahrelange Maloche wie in einem Spitzenjob …
»Nackenbeißer«: Schmonzette für Frauen mit so einem ähnlichen Titelbild - auch wenn's nicht genau der Nacken ist. Mit etwas mehr Biß könnte man ihn als Vampirroman vermarkten ...
Charon in Hamburg läuft auch noch einigermaßen. Dessen Zeitschrift Schlagzeilen ging zwar von 7000 Stück vekaufter Auflage 2001 auf unter 2000 Stück zurück, aber Grimmes SM- und Bondage- und Sonstwas-Handbücher sind immer noch verläßliche Long- und Bestseller; auch wurde Charon schon vor Jahren zum Gemischtwarenladen, der von Peitschen über Seilen bis zu Handschellen alles führt, was SMern Freude macht. Diversifizierung halt. Charons Messeauftritte vom Leipziger WGT über diverse Buchmessen bis zur BoundCon ging zwar zurück (wegen Corona und „man wird ja nicht jünger“), aber noch können sie sich passabel bis gut halten - ganz ohne Ebooks (auf die auch manch anderer Verlag konsequent verzichtet).
2019 waren über 7000 Verlage auf der Frankfurter Buchmesse vertreten, 2021 2000, dieses Jahr 4000. Schon vor 10 Jahren hieß es von manchen Verlagen „Noch drei oder fünf Messen, dann ist es vorbei“ – aber Totgesagte leben bekanntlich länger. Dennoch geht’s allmählich bergab mit den Papiermedien, seit etwa 2000. Bücher waren das, was sich im Internet anfangs am besten verkaufte, aber das Internet wurde auch zum Totengräber der Papiermedien, grub ihnen langsam, aber sicher das Wasser ab (und den filmischen Pornos auch, und bei Ebooks ist alles voller Raubkopien …).
Halb sieben. Schluß für heute und rein in die Tram ...
Die Tram Nr. 16 in Oberrads Offenbacher Straße
Doch ein guter Italiener in Oberrad hatte heute, am Mittwoch, zu - da blieben nur Cevapcici an der Imbißbude und ein Pilschen in der Pilsstube 297 ...
(Sorry für die Unregelmäßigkeiten im Satzbild; das läßt sich kaum vermeiden, wenn man einen längeren Artikel mit Bildern nicht gleich online hier reintippt, sondern offline mit der Textverarbeitung schreibt und hier reinkopiert ...)
Forz folgt! :-)
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